Bist du ein Nichtgrüßer?

„Moin“, hallt es mir fröhlich entgegen. Der entgegenkommende Endvierziger lächelt mir zu und hebt seine linke Hand. Es ist ein nebelverhangener Morgen auf meiner Hausstrecke. Nur wenige Menschen zieht es bei diesem nasskalten Wetter an den Ziegelsee.

„Moin“, erwidere ich und freue mich ein bisschen. Ich mag es, wenn wir Läufer uns auf unseren Runden grüßen. Das gibt immer so ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Des Verstehens und Verständnisses. Des gemeinsamen Schicksals. Der fast schon innigen Beziehung zueinander.

[dropcap size=”220%”]A[/dropcap]ls ich mit dem Laufen anfing, war ich lange Zeit alleine auf meinen Laufstrecken unterwegs. Keine Menschenseele kam mir entgegen. Niemand lief an mir vorbei. Erst nach geraumer Zeit, auf der Suche nach neuen Routen, sah ich plötzlich Menschen auf den Wegen. Läufer. Der erste, der mir jemals entgegenlief (kurioserweise erinnere ich mich heute immer noch daran) war ein regional bekannter und verdienter Sportler. Ein sehr freundliches „Hallo“ rief er mir zu, hob die Hand und streckte Zeige- und Mittelfinger empor. Ich war damals so verdattert, dass ich ihn nicht einmal zurückgrüßte. Ich frage mich noch heute, was er wohl von mir gedacht haben mag.

Seitdem grüße ich immer, wenn mir andere Läufer entgegenkommen. Läufer – keine Radfahrer, keine Spaziergänger und nein, auch keine Walker. Läufer. Wenn ich konzentriert laufe, was relativ selten vorkommt, reicht es nur für ein kurzes Handheben. Oft grüßen meine Leidensgenossen zurück. Aber nicht immer.

Alles eine Typfrage?

Ich frage mich manchmal, ob das eine Typfrage ist. Gibt es den Grüßertyp und den Nichtgrüßertyp? Die Nichtgrüßer auf meinen Runden sind meistens (Achtung!) Frauen, vorrangig aus der Altersgruppe 20 bis 35. Ich habe keine Ahnung, woran das liegt. Sehe ich in meinen eng anliegenden Laufklamotten so abstoßend aus, dass man mir nicht zutraut, mit der geschmacksverirrten Wahl einer neongelben Jacke und der passenden (und wie gesagt recht eng anliegenden) Laufhose einfach nur freundlich sein zu wollen? Oder bin ich der „alte Sack“, den die jungen Laufdinger nur peinlich finden? Ich weiß es nicht.

Grüsst beim Laufen / (c) francesco carniani / Shutterstock.com

Oder die Fraktion der Smartphone-Läufer. Handy in der Hand, das Kopfhörerkabel baumelnd vor der Brust, den Blick auf das Display gesenkt. Ob die Wegführung abgelesen, die Wettervorhersage für die nächsten zehn Kilometer gesucht oder eine Mail an den Chef wegen anstehender Gehaltsverhandlungen getippt wird, lässt sich mit Bestimmtheit nicht sagen. Jedoch führt offenbar die konzentrierte Bedienung des mobilen Endgeräts dazu, weder den Gruß wahrzunehmen, noch selbst grüßen zu können.

Und es gibt noch einen typischen Vertreter der Nichtgrüßer, den ich beobachtet habe: Wer sehr angestrengt läuft, also keine leichten Bewegungen macht und sich offenbar stark fordert, grüßt ebenfalls deutlich weniger zurück. Und es waren mit absoluter Sicherheit keine Läufer, die gerade oberhalb ihrer anaeroben Schwelle trainiert haben. Dabei ist die Kraftanstrengung für die nette Geste, denn als solche empfinde ich es, durchaus überschaubar.

[blockquote author=”Aus dem ‘Läufer-Knigge'”]Läufer grüßen sich normalerweise – es sei denn es sind so viele Läufer unterwegs, dass man öfter als einmal pro Minute grüßen müsste.[/blockquote]

Oder ist das Grußverhalten beim Laufen regional bedingt? Auf meinen Strecken, die sich vor allem in der und um die kleinste, dafür auch schönste, Landeshauptstadt ziehen, ist das Aufkommen an sich laufend vorwärts bewegenden Menschen relativ überschaubar. Ergo ist auch die Grußquote pro Lauf gering.
Das ist sonntagmorgens an der Alster in Hamburg ganz anders. Als ich vor einiger Zeit tatsächlich auf mich nahm, an einem Sonntag vor dem Frühstück um die Alster zu laufen, wurde ich fast wahnsinnig. Ja, der vielen Menschen wegen. Vor allem aber wegen der vielen Nichtgrüßer. Ich würde behaupten, dass nicht einer zurückgegrüßt hat. Nordische Kühle?
Erst Wochen später las ich durch Zufall in einem „Lauf-Knigge“, dass (wie ich es fast schon vermutet hatte) die „grundsätzliche Verpflichtung zum Grüßen“ zwar verneint werde, grundsätzlich aber erwünscht sei, dass Läufer sich grüßen – außer es seien so viele Läufer unterwegs, dass man öfter als einmal pro Minute grüßen müsste. Glück gehabt, Hamburg.

Als sich nun an diesem Morgen unsere Wege später wieder kreuzen – meine Hausstrecke führt in einem Teilabschnitt um einen See (besagten Ziegelsee), den ich für gewöhnlich mehrfach umrunde – ist der Endvierziger nicht mehr so fröhlich. Dafür ziemlich rot im Gesicht. Ich habe den Eindruck, dass es ihm schwerfallen dürfte, überhaupt noch ein Wort herauszubekommen. Herauszupressen. Sein Blick geht ins Leere, erst kurz bevor wir einander passieren, blickt er mich mit zusammengekniffen Augen an. Fast unmerklich nickt er mir zu. Diese zusätzliche Anstrengung, den Kopf leicht nach vorne und wieder zurück zu bewegen, muss ihm schwerfallen. Er schnieft.
Ich nicke zurück. Schließlich habe ich ihm vor einigen Kilometern bereits (für norddeutsche Verhältnisse sehr umfassend) einen guten Start in den Tag gewünscht.
Ich bin ja schließlich kein Nichtgrüßer.

2 Gedanken zu „Bist du ein Nichtgrüßer?“

  1. Ich nehme Blickkontakt mit den Entgegenkommenden, ob Läufer, Mountainbiker oder Wanderer, auf; meistens grüßen wir gleichzeitig. Wenn nicht, und ich zuerst grüße, ist die Zurückhaltung sofort vorbei und wird schnell und freundlich zurückgegrüsst. Und so soll es sein!

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